Die Metapher „das Bodenpersonal lässt zu wünschen übrig“ begegnet einem häufig wenn Missstände in der Kirche humorvoll relativiert werden sollen.
Zuletzt fiel mir das in der Verfilmung von „Ich bin dann mal weg“, der sympathisch erzählten spirituellen Suche von Hape Kerkeling, auf.
Die Rede vom Bodenpersonal ergibt nur Sinn indem man auch die Existenz von fliegendem Personal annimmt. Sie verweist auf eine intakte höhere Ebene der gleichen Organisation, während es „nur“ bei uns „hier unten“ Schwierigkeiten gibt und „menschelt“.
Allerdings macht sich schon seit Gründung der klerikalen Fluggesellschaft das fliegende Personal äußerst rar. Es gibt zwar sagenhafte Gestalten die zum Corporate Design der Firma gehören, jedoch können weder Himmelfahrtpiloten, noch schwebende Geister tatsächlich belegt werden. Auch für einen in luftigen Höhen angesiedelten Vorstandsvorsitzenden, mit Controlling-, Entwicklungs- und Entscheidungskompetenz, gibt es keine Hinweise, ganz im Gegenteil – die Anwesenheit eines Chefs muss stark bezweifelt werden.
Rein funktional betrachtet tragen diese Männer der Lüfte nichts zum Betriebs-Ergebnis bei und glänzen im laufenden Geschäft durch Abwesenheit. Ihre Existenz wird zwar fortlaufend behauptet und durch Zeremonien, Schriften und Bebilderung in der Fantasie der Kunden verankert, doch diese „Konstruktion von Wirklichkeit“ muss man klar als Leistung der Marketing-Abteilung anerkennen.
Das mit vielen Berufsgruppen gut ausdifferenzierte Bodenpersonal ist dagegen physisch präsent und tritt fleißig und selbstbewusst auf. Mit Glocken bestückte Terminals sorgen in den besten Innenstadtlagen sogar nachts für Aufmerksamkeit und selbst auf entlegenen Feldwegen und Berggipfeln stößt man auf das Firmenlogo. In fantasievollen Uniformen, mal pompös, mal auffallend schlicht, äußern die Mitarbeitenden bei gesellschaftlichen Gelegenheiten lautstark ihre Meinung. Mit regelmäßigen Werbe-Aktionen wie Umzügen, Fernsehauftritten, Festivals usw. und (schon lange vor Tupperware) durch customer-to-customer-Werbung in privaten Hauskreisen, werden Kunden gewonnen oder zur Markentreue angehalten. Die Frauen und Männer vom Bodenpersonal erledigen ihren Job hoch engagiert, geschäftsmäßig routiniert, sie sind gut ausgebildet, empathisch und erreichen eine enorme Kundenbindung. Viele Eltern lassen sogar ihren Babys rituell eine Member-Card ausstellen, für die erst im Erwerbsleben bezahlt werden muss.
So funktioniert der reguläre Betrieb. Die Organisation erwirtschaftet dabei gewaltige Gewinne und genießt höchstes Ansehen, auch durch professionelle Medienpräsenz und erfolgreich betriebenen Lobbyismus.
Wieso wird trotz dieser Erfolge das Bodenpersonal schlecht geredet? Oder noch besser gesagt: Warum werten sich diese Profis am Boden gegenüber der windigen Flugzeugbesatzung zeitweise sogar selbst ab?
In der Organisation gab und gibt es immer wieder Fehler, bis hin zu Korruption, Diskriminierung, Betrug, sexuellen Übergriffen, Missbrauch und Gewalt.
Weil Funksprüche, mit Bitte um Intervention von oben, stets folgenlos bleiben, verläuft das Krisenmanagement des Bodenpersonals nach einem inzwischen gut bekannten Muster:
- Vertuschen und Verdecken soweit es möglich ist. Das Problem wird als „intern“ deklariert und möglichst still geregelt oder einfach nur geheim gehalten.
- Wenn doch Information nach außen dringt und Empörung entsteht: Schuldeingeständnis, großes Bedauern, Bitte um Vergebung bei den imaginären luftigen Kollegen (wieder ohne Folgen), Ankündigung von Konsequenzen und Maßnahmen. Betonung, dass das skandalöse Geschehen NICHTS mit der Marke zu tun hat, sondern stets persönliches Versagen darstellt.
- Während dem Abklingen des Skandals ablenkende bzw. relativierende Strategien: „Es ist aber nicht alles schlecht“ und als Verteidigung oder Selbstbezichtigung:
„Ja, das Bodenpersonal lässt zu wünschen übrig,“ im Kopf soll dabei die Ergänzung stattfinden „aber das Eigentliche, das fliegende Personal, unsere traditionsreiche Fluglinie, das ist wertvoll und alles in Ordnung!“ - Nach dem Skandal: Aufweichung bis Vergessen der angekündigten Lösungs-Maßnahmen um die bisherigen Strukturen und Traditionen zu erhalten. Bemühung die Diskussion intern zu führen, Wiederherstellen des Ausschlusses der Öffentlichkeit.
- Schrittweise Wiederherstellung der Identifikation mit der Marke, Wiederaufbau der selbstbewussten Haltung. „Business as usual“, bis zum nächsten unvermeidbaren, weil systemisch bedingten, Skandal.
Würden Sie mit einer Linie fliegen, bei der Ihre Kinder in der Sicherheitskontrolle begrapscht werden? Nein? Und wenn Ihnen versichert wird, die Piloten seien aber super?
Wie viel Kompetenz gestehen Sie einer Personalabteilung zu, die fehlerhaft handelndes Personal bei Skandalen nicht kündigt, sondern bestenfalls auf einen anderen Flughafen versetzt?
Wären Sie bereit Ihre Beschwerden in die Wolken zu adressieren? Oder würden Sie auf eine/n verantwortliche/n Ansprechpartner/in vor Ort bestehen?
Angenommen das fliegende Personal macht einen perfekten Job, aber Sie ärgern sich schon am Boden mit diskriminierender Behandlung, organisatorischen Mängeln, ungerechtfertigten Kosten und fehlerhaften Informationen herum. Würden Sie sich mit der angeblich grandiosen fliegerischen Leistung trösten lassen?
Was halten Sie von einer staatliche Aufsicht, die einzelnen Fluggesellschaften Privilegien zugesteht, Schlampereien durchgehen lässt, ihnen Marktvorteile verschafft und auf wirksamen Schutz und Kontrolle verzichtet, mit der Begründung das erzählte Flieger-Epos sei gesellschaftlich wertvoll?
Ich neige dazu, auch bei den fehlerhaften und skandalösen Vorgängen, dem Bodenpersonal hohe Kompetenz und damit verknüpft auch hohe Verantwortung zuzusprechen.
Gleichgültig ob die fantastische Dreier-Crew irgendwo über den Wolken eine perfekte liegende Acht fliegt, geht es darum die hier am Boden auftretenden Fehler, Konflikte, Vergehen und Verbrechen adäquat zu bearbeiten. Die Strukturen und Abläufe dazu wurden und werden hier unten geschaffen, das Management findet nicht im Himmel statt und was angeblich „von oben“ gewollt oder bestimmt ist, wird von menschlichen Führungskräften behauptet und vertreten.
Der Trick mit der zeitweisen Selbstentwertung soll, durch den Blick in den Himmel, vom Geschehen am Boden ablenken. Im Extremfall schützt das Täter und Täterinnen, erhält dubiose Strukturen aufrecht und erschwert so letztlich die Zuschreibung persönlicher Verantwortung und damit nachhaltige Lösungen.
Das Aufblicken zu fliegenden Supermännern wird uns nicht helfen und schon gar nicht darf es uns von der tatkräftigen Lösung unserer Probleme ablenken. Bodenpersonal, das mit menschlichen Mitteln das Zusammenleben auf der Erde gestaltet, sind wir alle.
Hansjörg Albrecht