Evolutionstag – ein Feiertag für den bfg

Charles Darwin und Alfred Russel Wallace haben vor ca. 170 Jahren unser Verständnis von der „Entwicklung der Arten“ und damit auch von der stammesgeschichtlichen Entwicklung des Menschen auf eine damals revolutionäre wissenschaftliche Grundlage gestellt, die in ihren Grundzügen bis heute Bestand hat: die Evolutionstheorie.

Moderne Forschungen erhöhen fortlaufend unseren Wissensstand, was zu Konkretisierung und Anpassungen führt. Grundsätzliche Fehler der Evolutionstheorie wurden dabei bisher nicht erkannt, ganz im Gegenteil. Besonders die Erkenntnisse der Genetik, beginnend mit den Erbsenzuchtexperimenten von Gregor Mendel, erweitern unser Verständnis der zugrunde liegenden Prozesse enorm und liefern zusätzliche Belege, dass die Entwicklung des Lebens auf Zufall und Notwendigkeit beruht:
Durch zufällige Veränderungen ihrer Erbanlagen (Mutationen) entstehen vererbbare Unterschiede, die sich unter den gegebenen oder sich verändernden Umweltbedingungen als günstig erweisen können. Die besser an ihren Lebensraum angepassten Organismen haben dadurch einen Überlebens- und damit Vermehrungsvorteil. Das führt notwendigerweise zu einer Verdrängung von schlechter angepassten Organismen, deren Erbanlagen diese Veränderungen nicht tragen (Selektion).

Siegmund Freud diagnostizierte der Menschheit eine „biologische Kränkung“, weil seitdem klar ist, dass der Mensch kaum mehr als göttliche Schöpfung, sondern treffender als die rezente Form des homo sapiens (mit Vorfahren bis hin zur hypothetisch letzten gemeinsamen Stammform LUCA) beschrieben werden kann. Wir haben eine durch Fossilienfunde und Relikte in unseren eigenen Körpern belegte Ahnenreihe, die weit über Adam und Eva hinaus reicht und zu der mausgroße Säugetiere aus dem Jura (vor ca. 150 Millionen Jahren) und Bakterien aus dem Präkambrium (vor ca. 3,5 Millarden Jahren) gehören.

Im Bund für Geistesfreiheit feiern wir den Evolutionstag, weil unser weltlicher Humanismus ein naturalistisches Weltbild zur Grundlage hat, dessen Anfänge durch frei denkende Frauen und Männer in der Aufklärung erarbeitet und, gegen den erbitterten Widerstand der Kirchen, behauptet wurden. Wir leben in einer Welt in der es mit rechten Dingen zugeht und die zu ihrer Erklärung weder Mythen noch Götter benötigt. Ludwig Feuerbach, der auch in Franken lebte und wirkte und auf dem Johannisfriedhof in Nürnberg begraben liegt, ist einer der philosophischen Vordenker an dem wir uns orientieren.

Ist unsere Abstammung von tierischen Vorfahren ein Grund narzistisch gekränkt zu sein, wie Freud annahm? Wir finden nicht. Vielmehr können wir über die Vielfalt und die Mechnismen des Lebendigen staunen, mit Neugier und wissenschaftlichen Methoden immer mehr über das Leben (und damit über uns selbst) lernen und uns emotional mit allen anderen Organismen auf der Erde verbunden fühlen, wenn wir uns bewusst machen, welche evolutionären Wege über Millarden von Jahren zu unserer aktuellen Lebensform führten.

Das Wissen um die Evolution und unsere hohe Wertschätzung eines humanen (menschengerechten) Lebensstils wollen wir bekannt und zugänglich machen. Dazu fördern wir Initiativen die Evolution schon an der Grundschule vermitteln wollen (z.B. Evokids oder den Evolutionsweg), veranstalten Vorträge die zur Aufklärung beitragen und feiern das Leben am Evolutionstag.

Text: Hansjörg Albrecht und Dr. Franz Klebl
Bildquelle: Hansjörg Albrecht

Für die Webpräsenz des bfg Fürth


Der Evolutionstag ist ein beweglicher Jahresfeiertag, jeweils am sechsten Freitag nach dem Sonntag, der dem ersten Frühjahresvollmond folgt. Landläufig ist das der Freitag nach dem „Vatertag“.

Die nächsten Termine fallen auf Freitag, den
14. Mai 2021
27. Mai 2022
19. Mai 2023
10. Mai 2024

Lästiges Erbe?

Im Bistum Eichstätt gehört seit 40 Jahren ein paläontologisches Museum zum Bischöflichen Priesterseminar: Das Jura-Museum auf der Willibaldsburg, in dem wertvolle Funde aus den Plattenkalken des Altmühltales ausgestellt sind.

2018 kündigte das Priesterseminar den Vertrag und stellte das Museum so existenziell in Frage.

Mein Text dazu reflektiert Fragen wie:

Wie hat sich das Verhältnis von Wissenschaft und Glauben entwickelt?
Welches Erbe würdigt die Kirche?
Kann ein katholischer Träger mit Belegen für die Evolution, wie dem Archäopteryx, angemessen umgehen?
Könnte Eichstätt auch ein Ort der Aufklärung und der Wissenschaft werden?

Veröffentlicht wurde der Artikel im Humanistischen Pressedienst.


Lästiges Erbe?

Das Jura-Museum Eichstätt und die Not des Bistums mit einer weltberühmten Sammlung

In der Romantik suchten Pfarrer gerne in Steinbrüchen nach Fossilien als Beweise für Gottes wundersame Schöpfung. Dabei trugen sie naturkundliche Sammlungen zusammen, die durch Schenkung oder Erbfall häufig in den Besitz der Kirche übergingen.

Ignaz Pickel (1736 – 1818) lebte in dieser Zeit, in der sich Religiosität und naturwissenschaftliches Denken noch konfliktfrei ergänzten. Damals wurde vermutet:„Wenn Gott Mensch werden konnte, kann er auch Stein, Pflanze, Tier und Element werden, und vielleicht gibt es auf diese Art eine fortwährende Erlösung in der Natur“.1

Heute werden solche Schöpfungsbeweise von Wissenschaftlern in nüchterner Sprache im Rahmen der modernen Evolutionstheorie gedeutet. Vermutungen weichen dem rasant wachsenden wissenschaftlichen Wissen. Die rätselhafte Welt wird zunehmend entzaubert und die Einsicht, dass es in der Welt mit rechten Dingen zugeht (Naturalismus), breitet sich aus.

Daraus ergeben sich für religiöse Menschen mitunter Probleme: Der Schöpfer fällt „Ockhams Rasiermesser2, dem Sparsamkeitsprinzip, zum Opfer. Göttliche Fügung wird nicht mehr zur Welterklärung benötigt. Stattdessen arbeiten unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen eng zusammen und können uns einen detaillierten Einblick in die Erdgeschichte und sogar unsere eigene stammesgeschichtliche Entwicklung geben. Anstelle fantasiereicher Deutungen, die Wissenslücken mit mythologischen Vorstellungen auffüllten, beeindrucken uns heute die Erkenntnisse der Wissenschaft.

Das Eichstätter Priesterseminar3 besitzt eine der bedeutendsten paläontologischen Sammlungen Deutschlands, die im Jura-Museum4 auf der Willibaldsburg ausgestellt ist. Die Fossilien aus den Plattenkalken im Altmühltal sind faszinierende Forschungsgegenstände von internationalem Rang. Sie tragen aber auch zur allgemeinen Bildung bei. Familien mit Kindern, interessierte Laien, Vereine und Schulklassen können die wertvollen Funde aus dem Altmühltal, wie den Archäopteryx Lithographica oder den Juravenator Starki bestaunen und, im besten Fall, ein tieferes Verständnis für die Entwicklung des Lebens gewinnen.

Der Grundstock der Sammlung geht auf den eingangs erwähnten Ignaz Pickel5 zurück, einen Jesuiten, Mathematiker und Astronomen, der sich im Stile der Universalgelehrten seiner Zeit auch mit Archäologie und den Versteinerungen seiner Eichstätter Heimat beschäftigte. Seine Funde und sein Wissen hat er an das Bistum vererbt.

Im Moment ist das Jura-Museum geschlossen. Es ist zum Sanierungsfall geworden, weil wichtige Renovierungsarbeiten unterblieben. In einem aktuellen Zeitungsartikel beschreibt der Redakteur die Entwicklung der letzten Jahre und Jahrzehnte schlagwortartig so: „… hat in den vergangenen Jahrzehnten unübersehbar der Zahn der Zeit genagt“, „Die dringende Renovierung wollte das Bischöfliche Priesterseminar, …. nicht mehr finanzieren. Außerdem hatte dessen Führungsspitze 2018 angekündigt, vor allem wegen fehlender wirtschaftlicher Perspektiven, die Trägerschaft zum Ende des Jahres abzugeben“. „Jährliches Defizit von über 100 000 Euro“, „Zusammenarbeit des kirchlichen Trägers mit den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen (hat sich) offensichtlich überlebt.“6 Die Aussichten sind düster.

Aktuell ist die Trägerschaft nur bis Ende März 2019 gesichert und es wird diskutiert, ob sie der Katholischen Universität (KU) Eichstätt7 angetragen werden soll. Das verbessert die Perspektive für das Museum keineswegs, denn viel mehr Schwung wird man auch hier nicht erwarten können. Die KU, deren Schwerpunkt auf Sozialer Arbeit, Theologie, Geographie und Sprachwissenschaften liegt, wehrt sich ganz offensichtlich gegen eine Übernahme8, was angesichts der zu erwartenden Defizite nicht verwundert. Inhaltlich gibt es keine überzeugenden Anknüpfungspunkte oder Synergieeffekte, letztlich wäre das naturwissenschaftliche Museum ein Fremdkörper in dieser Institution.

Es geht aber auch anders, wie bei einem weiteren Erbstück des Bistums zu beobachten ist. Ebenso zum Bischöflichen Priesterseminar gehört die Schutzengelkirche, ein kunstgeschichtlich und architektonisch höchst bedeutsamer Kirchenbau aus dem Jahr 1617, der auf andere Weise beeindruckt: Durch die opulente Ausstattung mit Gemälden, Fresken, Kirchengestühl, einer wertvollen Orgel, geschnitzten Altarschranken und über 500 Schutzengelplastiken, bietet sie ein Gesamterlebnis, für das warm geworben wird: „Die wundervolle Schutzengelkirche besticht durch ihre Geschlossenheit in Ausstattung und Engelsthematik. Sie ist ein barockes Gesamtkunstwerk, in dem alle Künste harmonisch zusammenwirken.“9

Ist auch sie ein Sanierungsfall? Natürlich nicht. In den letzten 20 Jahren wurde die Kirche außen und innen komplett saniert. „Man hat sich dabei für die Fassung aus dem Jahre 1717 entschieden, das war die Zeit in der die prachtvolle Innenausstattung mit Stuck, Fresken und wertvollen Altären entstand.“10 berichtet das Bistum 2009 in selbstbewusstem Ton. Geldmangel ist und war dabei kein Problem, denn neben den staatlichen 2,3 Millionen Euro (nur für die Innenrenovierung), die als „Zuschüsse“ bezeichnet werden, wurde als weitere Einnahmequelle zu Spenden aufgerufen. Mit „567 Engel brauchen Hilfe“ – einer Spendenaktion, die Privatleuten die Taschen öffnete, finanzierte sich das Bistum zum größten Teil den verbliebenen Eigenanteil, der bei rund 1 Million Euro lag.

2012 konnte man sich dann gemeinsam mit der Marianischen Männer Congregation (MMC), die auch zum Bischöflichen Seminar gehört, über eine Neuanschaffung für diese Kirche freuen, denn „Mit der 780 Kilogramm schweren Glocke, die den Ton a1 erklingen lässt, schließt sich eine Lücke in der Harmonie des Gesamtgeläutes von acht Glocken.“ 11

Ganz offensichtlich geht das Bischöfliche Priesterseminar Eichstätt mit seinen verschiedenen Erbteilen sehr unterschiedlich um: Während das Jura-Museum verfällt und existenziell bedroht ist, geht es bei der Schutzengelkirche um die Abrundung der Harmonie im Glockengeläut. Und das ist nur einer von vielen Kirchenbauten, bei denen stets große Summen für den Erhalt eingeworben und aufgewendet werden.

Man mag es dem Bistum als legitim zugestehen, sich um die Kirchen besser zu kümmern als um die naturkundliche Sammlung des Ignaz Pickel. Die große Diskrepanz erschreckt dennoch, schließlich werden in beiden Bereichen öffentliche Gelder dafür verwendet, dass die Kirche ihren Besitz als Kulturgut erhält und der Bevölkerung zugänglich macht. Arbeitet das Domschatz- und Diözesanmuseum, das ebenfalls dem Bistum gehört, im Vergleich wirtschaftlicher? Werden bei den kunsthistorischen Führungen in den Eichstätter Kirchen ähnlich streng die Besucherzahlen in Relation zu den Kosten gerechnet? Das würde verwundern, weil Glocken und Sakralschmuck zur Kernidentität der Kirche gehören und damit jeden Aufwand rechtfertigen, Fossilien jedoch nicht.

Was wäre aus all dem zu folgern?

  • Dem Bistum Eichstätt ist zu empfehlen, entweder das ideelle Erbe des wissenschaftlich denkenden Jesuiten Ignaz Pickel verantwortlich anzunehmen und sich entschieden für die Sammlung zu engagieren, oder sie in andere interessierte Hände abzugeben. Ein kraftlos betreutes, finanziell geknebeltes und altbackenes Jura-Museum vermittelt keine positiven Erlebnisse und hat so keine Zukunft. Ähnlich wie sich das Bistum über die im Jahr 1802 gelungene „Rettung der Kirche vor dem im Zuge der Säkularisation drohenden Abbruch“12 freut, freuen sich wissenschafts-affine Bürgerinnen und Bürger sowie säkulare Organisationen, die einige von ihnen vertreten, wenn eine Rettung des Jura-Museums vor Verfall und Bedeutungsverlust gelingt.
  • Ein Poker um höhere Fördergelder, bei dem die Trägerschaft nur innerhalb des Bistums verschoben wird und Misswirtschaft indirekt durch anschließend erhöhte Zuwendungen belohnt wird, ist zu verhindern. Sicherlich ist es, wie bei allen Bildungseinrichtungen, schwierig das Museum finanziell solide zu betreiben. Allerdings sollten alte Strukturen, die zu Defiziten führten, nicht unhinterfragt beibehalten werden, indem nur die offizielle Zuständigkeit wechselt.
  • Die Politik sollte prüfen, ob das Bistum Eichstätt die Förderungen für das Jura-Museum effektiv einsetzt, naturwissenschaftliche Bildung voran treibt und bereit ist, der Sammlung neuen Glanz zu verleihen. Nachhaltiges Engagement, Effektivität und Eigeninitiative zeigte das Bistum Eichstätt bisher nur für seinen religiösen Erbteil. Aus den bisherigen Erfahrungen ist für 2019 zu befürchten, dass die im März anlaufende Sanierung des Domes höchste Priorität hat und das Jura-Museum abgewickelt oder zumindest wieder hintangestellt wird.
  • Ein Qualitätssprung im Jura-Museum ist kaum zu erreichen, wenn, möglicherweise aus katholisch geprägter Weltanschauung, auf die Chance verzichtet wird, Evolution ansprechend und in ihrer fundamentalen Bedeutung für das menschliche Leben darzustellen. Wissenschaftlich ausgerichtete oder humanistisch orientierte Organisationen betrachten diese Thematik als Teil ihrer Kernidentität und würden dementsprechend kenntnisreich und motiviert zu Werke gehen. Das Subsidiaritätsprinzip legt an dieser Stelle eine Beteiligung wissenschaftlicher Institutionen und/oder evolutionärer Humanisten nahe.
  • Unabhängig davon, wer die Trägerschaft zukünftig übernimmt: Die Sammlung verdient ihrem Wert entsprechend zeitgemäß präsentiert zu werden. Begleitend zur Ausstellung wird ein modernes Bildungskonzept benötigt, das Wissenschaft und Aufklärung in den Fokus stellt, Forschung ermöglicht und Kindern und Erwachsenen einfach auch Spaß macht. Dazu gibt es kompetente Fachleute und gute Konzepte aus der Museumspädagogik, Biologiedidaktik und der Ausstellungstechnik. Hier zu investieren und die Zusammenarbeit mit versierten Organisationen und Häusern gezielt zu nutzen, kann das Museum erfolgreich machen.

Schon um die bisherigen Investitionen des Staates für die nächsten Generationen zu erhalten, muss die Krise bewältigt werden. Man könnte mit bestehenden Konzepten und bekannten Lösungsmethoden die alte Stabilität wieder herstellen. Oder man betrachtet das Potential und die Ressourcen des Jura-Museums in seiner Umwelt mit frischem Blick, wendet neues Wissen und Erfahrung aus anderen Bereichen an, rekombiniert die zur Verfügung stehenden Elemente und ermöglicht so den evolutionären Sprung auf eine neue Ebene.

Der Archäopteryx steht für diesen Sprung – hoffentlich sein Museum auch.

Hansjörg Albrecht

30.01.2019

Das besondere Kirchgeld in Bayern

Kirchenmitglieder zahlen Kirchensteuer. So weit, so klar. Wie es funktioniert, dass Atheisten und Muslime und andere Nichtchristen, über ihre Ehe mit christlichen Partnern, ebenfalls besteuert werden, kann im Wikipedia-Artikel nachgelesen werden.

Widerstand und fundierte Kritik  (kirchgeld-klage.info) daran gab es von Anfang an.

Seit 2017 engagierte sich auch das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) mit Musterklagen.

Vielleicht durch die juristische Bearbeitung befeuert, beschloss die bayerische Evangelische Landeskirche am 29.11.2018 die „Heidensteuer“ (Kirchenkritikerjargon) abzuschaffen. Das könnte kluge Taktik sein.

Gleichzeitig haben die Synodalen einen vernünftigen Schritt unternommen, um das friedliche Zusammenleben mit und ohne Glauben zu fördern.

Darum mein Kommentar der als Artikel im Humanistischen Pressedienst erschien: Taktischer Winkelzug oder vernünftiger Schritt?


Taktischer Winkelzug oder vernünftiger Schritt?

Mit Stolz, könnte man meinen, verkündet der Evangelische Pressedienst (epd):

Bayerische Landeskirche schafft als erste das „Besonderes Kirchgeld“ ab

Es fehlt auch nicht der Hinweis, die Landeskirche würde damit auf 13 Millionen Euro Einnahmen verzichten. Das klingt großzügig.

Wie ist das möglich? Nehmen die Kirchen Abstand davon glaubensverschiedenen Ehepartnern pauschal Kirchensteuerflucht zu unterstellen? Oder gibt es noch andere Gründe für den Beschluss der bayerischen Landessynode der Evangelischen Kirche Deutschland, am 29.11.2018 in Garmisch-Partenkirchen?

Im Pressetext wird sachlich berichtet: „Besonderes Kirchgeld“ müssen in Bayern seit 2004 evangelische Kirchenmitglieder zahlen, wenn sie mit ihrem Ehegatten gemeinsam steuerlich veranlagt sind, dieser aber kein Mitglied einer Kirche oder Weltanschauungsgemeinschaft ist.

Auch die erstaunliche Ungleichheit dieser Besteuerung wird kurz gestreift: Nicht alle katholischen Bistümer erheben diese Steuer, einige Freikirchen dagegen schon, in Bayern konnte mit der Zugehörigkeit zu einer Weltanschauungsgemeinschaft mit Körperschaftsrecht das „besondere Kirchgeld“ vermieden werden, einige jüdischen Gemeinden in Hessen und die Altkatholiken in Niedersachsen erheben es, und so weiter – die Praxis der Erhebung gleicht einem bunten Flickenteppich, eine stringente Begründung und klare Linie ist nicht erkennbar.

Das „besondere Kirchgeld“ hatte in den vergangenen Jahren„für Spannungen gesorgt“, erläuterte Oberkirchenrat Hans-Peter Hübner. Bei vielen Kirchenmitgliedern habe es zu erheblichen Belastungen im Verhältnis zu ihrer Kirche geführt. …. es gebe „grundsätzliche Akzeptanzprobleme“ – so benennt man in Kirchenkreisen die Empörung und die anhaltende und fundierte Kritik an der „Heidensteuer“, wie Betroffene und säkulare Organisationen sie gerne zuspitzend nennen. Bisher hatte das jedoch kaum Eindruck gemacht. Weder der politische Diskurs, noch die breite Öffentlichkeit setzte das Thema auf die Agenda.

Darum kam die Abkehr der bayerischen Protestanten nun einigermaßen überraschend. Wie ist der Verzicht auf diese Einnahmequelle zu deuten? Ist es Einsicht in Ungerechtigkeit? Verzicht auf Dominanz? Reagieren sie auf die logischen Brüche, die vor allem bei der Besteuerung von Doppelverdienern bestehen? Hat die evangelische Landeskirche, wegen der im bundesweiten Vergleich relativ wenigen Fälle in Bayern, nur am wenigsten zu verlieren? Oder sind sie schon reich genug? Für letzteres würden die auf der gleichen Versammlung beschlossenen Investitionen und die gute Laune beim Haushaltsbeschluss sprechen. Die Mindereinnahmen scheinen angesichts der hohen Erträge keine große Rolle zu spielen.

Wenn es um den Klerus und das Geld geht, wird es für Normalbürger undurchsichtig. Hellhörig kann man am Ende der Pressemitteilung werden, sie enthält den Hinweis:

Zudem habe das „besondere Kirchgeld“ auch die Gerichte beschäftigt, zuletzt sogar den Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte. Obwohl die Gerichte die Auffassung der Kirche bisher bestätigt haben, wurde Hübner zufolge niemals die erwartete Akzeptanz erreicht. Zudem sei nicht ausgeschlossen, dass sich die Haltung der Gerichte einmal ändere.

Das klingt weniger stolz und großzügig. Vielleicht ist es ja doch der geschärfte Blick der Gerichte mit dem die Kirchenfinanzen inzwischen beobachtet werden?

Denn es gibt Fachleute, die sich mit der komplexen Materie auskennen und Betroffenen helfen juristischen Widerstand zu leisten: Das ifw (Institut für Weltanschauungsrecht) hat mit zwei Musterklagen die Erhebung des „besonderen Kirchgeldes“ hinterfragt. Warum eine Muslima und ein Atheist
der evangelischen Kirche Kirchensteuer zahlen müssen, wird seit 2017 gerichtlich geklärt. Aus einem der Fälle erklärt sich der Hinweis auf den Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte und es ist nicht verwunderlich, dass die Kirchen ein hohes Interesse daran haben, ihre Belange nicht aus internationaler Perspektive bewerten zu lassen. Nirgendwo sonst auf der Welt genießen christliche Kirchen so umfangreiche, vom Staat zugestandene, Privilegien wie in Deutschland.

Mit skeptischem Blick betrachtet kommt die bayerische Evangelische Landeskirche mit der Abschaffung des „besonderen Kirchgeldes“ einer drohenden juristischen Niederlage zuvor. Mit einer „Abschaffung“ hätte das nichts zu tun, sondern eher mit Taktik, um den grundlegenden Vorteil erhalten zu können. Denn einer Wiedereinführung der „Heidensteuer“ durch künftige Synoden steht nichts im Weg. Insofern wäre der scheinbare Verzicht eher die kluge Investition eines milliardenschweren Konzerns, der langfristig denkt und seine starke Position mit Winkelzügen verteidigt.

Die Entscheidung der Synode, die sich nicht nur aus Strategen, sondern aus gewählten evangelischen Christen von der Basis zusammensetzt, kann freilich auch als vernünftiger Schritt in Richtung konfessionsfreier oder andersgläubiger Menschen verstanden werden. Formen des friedlichen Zusammenlebens von Menschen mit verschiedenen Weltanschauungen zu entwickeln, ist in unserer zunehmend heterogenen Gesellschaft eine große Herausforderung, von deren Bewältigung der soziale Frieden mit abhängt. Verantwortlichen Synodalen ist diese Aufgabe sicher bewusst, denn der soziale Sprengstoff der fundamentalistischen Abgrenzung ist längst identifiziert und die Mehrheit der Christen in Deutschland versteht sich als Mitgestalter einer offenen Gesellschaft, die verschiedene Lebensauffassungen integrieren muss.

Auf das „besondere Kirchgeld“ zu verzichten bedeutet, nicht weiter einen Keil zwischen Paare zu treiben, denen es trotz verschiedener Haltungen zu Glauben und Religion gelingt, zusammen zu leben. Die Zeiten, in denen es nur möglich war, Menschen gleicher Konfession zu lieben und zu heiraten, sind glücklicherweise überwunden.

Anstatt einseitig nur den Aspekt der „Kirchensteuerflucht“ zu betonen und durch das „besondere Kirchgeld“ zu unterbinden, können glaubensverschiedene Ehen als private Modelle friedlicher Koexistenz anerkannt werden. Was im Familienleben gut funktioniert, fördert auch das Zusammenleben gesellschaftlicher Gruppen.

Ist es nicht das, was wir brauchen? Menschen mit Mut zur Vielfalt, die im Dialog ihre Unterschiede leben und gemeinsame Lösungen finden? Das sollten weltanschaulichen Organisationen, religiöse wie säkulare, nach Kräften unterstützen!

Was auch immer den Ausschlag für die Entscheidung gab, Taktik oder Vernunft, ist letztlich nicht so wichtig wie das erfreuliche Ergebnis: Die bayerischen Synodalen haben einen seit vielen Jahren strittigen Punkt im Zusammenleben von Christen und Nichtchristen befriedet.

Es ist zu hoffen, dass andere Landeskirchen und Bistümer dem bayerischen Beispiel folgen und ebenfalls auf das „besonderen Kirchgeld“ verzichten.

7. Dezember 2018 Hansjörg Albrecht

Loyalität und Religionsfreiheit

Ich orientiere mich an einem humanistischen Weltbild, an Aufklärung, Fortschritt und Menschlichkeit. Angeregt durch die Beschäftigung mit Systemischen Denken, Philosophie, Kirchengeschichte, Humanismus und Evolutionstheorie trat ich aus der evangelisch-lutherischen Kirche aus.

Das führte zwangsläufig zu Diskussionen um mein Arbeitsverhältnis in der Jugendhilfe der Diakonie. Dabei sind auch gesellschaftspolitisch relevante Fragestellungen berührt. Der „dritte Weg“, gemeint ist das besondere Arbeitsrecht das die Kirchen für den Eigengebrauch entwickelt haben, ist die Grundlage der überzogenen Loyalitätspflichten, gegen die ich mich wehrte.

Um Die offene Gesellschaft zu stärken – und wo nötig zu verteidigen – sehe ich die Notwendigkeit einer sachlichen, öffentlichen und transparenten Diskussion. Diakonie und Caritas sind, nach dem Staat, der zweitgrößte Arbeitgeber Deutschlands und wahrscheinlich gibt es viele KollegInnen, die unter dem kirchlichen Arbeitsrecht leiden – oft genug ohne die Möglichkeit, sich selbst gegen Diskriminierung wehren zu können.

Helmut Fink erklärt im Kortizes-podcast vom 1.11.2018 strukturiert und knapp die Besonderheiten des „dritten Weges“, der „christlichen Dienstgemeinschaft“ und beleuchtet die aktuellen Konflikte rund um die Sonderrechte der kirchlichen Arbeitgeber.

In meinem Fall ging es um die Loyalitätspflichten und die Frage, ob ein aus der Kirche ausgetretener Mitarbeiter sich seinem diakonischen Arbeitgeber gegenüber beruflich loyal verhalten kann – oder ob ihm gekündigt werden muss. Diese Auseinandersetzung hatte folgenden Verlauf:

  • Vor dem Austritt habe ich eine Loyalitätserklärung unterzeichnet. Darum ging ich davon aus, weiter für die Jugendhilfe arbeiten zu können, was ich auch unbehelligt über ein Jahr lang tat.
  • Mit der vom Arbeitgeber neu beschlossenen „Loyalitätsprüfung“ und der damaligen Auslegung der „AcK-Klausel“ wurde mir klar, dass ich als nichtreligiöser Mensch in den Diensten der Diakonie diskriminert werde und von Kündigung bedroht war.
  • Mit dem Schreiben „Loyalität und Religionsfreiheit“ zeigte ich meinen Widerstand, argumentierte und dokumentierte meine Meinung. Ich informierte die regionale Presse, da ich nur einer von vielen Betroffenen bin und das Thema gesellschaftlich als hoch relevant und wenig diskutiert einschätzte.
  • In der Folge veröffentlichten die Zeitung den Artikel Droht nun eine evangelische Inquisition?
  • Der Vorstandsvorsitzende meines Trägers ging, trotz der unvermindert strikten Haltung der Evangelischen Kirche Deutschlands (siehe Loyalitätsrichtline der EKD), in einem konstruktiv geführtem Zweiergespräch auf meine Argumente ein.
    Letzlich stand mir der Vorstandsvorsitzende eine  loyale Haltung zu, die im praktischen Dienst gelebt werde, dass mein Schreiben eine fällige Diskussion angestoßen habe und mein Austritt aus der Kirche nun „kein dienstliches Thema“ mehr sei. Das konnte ich als, zwar informelle, aber von höchster Leitungsebene vertretene Bestätigung für meine korrekte berufliche Haltung verstehen.
    Kritik hatte er am Begriff „Inquisition“ und der öffentlichen Auseinandersetzung. Außerdem würde diese Diskussion den innerkirchlichen Dialog zum Thema eher belasten.
  • Sechs Tage danach berichtete der Redakteur mit dem Artikel Kirchenkritiker darf weiter für die Diakonie arbeiten, dass ich, entgegen der Möglichkeiten des kirchlichen Arbeitsrechtes, keine Kündigung zu erwarten habe.
  • Am 10. März wurden noch vier Leserbriefe zu den Artikeln abgedruckt. Sie zeigen aus meiner Sicht den Aufklärungsbedarf zu den Hintergründen des Themas und den hohen Grad an Emotionalität rund um religiöse Überzeugungen.
  • In der Mitarbeiterzeitung wurde, ohne meinen Fall explizit zu benennen, beschrieben, „wie der Umgang mit bewährten Mitarbeitenden sein soll, die ihre Kirchenmitgliedschaft aufgeben“. Und siehe da: Mein Arbeitgeber ermöglichte ab diesem Zeitpunkt die formale Erklärung der Loyalität, kombiniert mit einem Gespräch mit dem Dienstvorgesetzten über berufliches Verhalten und verzichten auf die vorher propagierte Loyalitätsprüfung durch einen diakonisch Beauftragten. Ich sah mich in meiner Sichtweise gestärkt.

Meine Kritik zeigte Wirkung in der Institution und hat argumentativ, stärker als vermutet, überzeugt. Die Diakonie nutzte ihre Spielräume, folgte nicht der rigideren EKD-Linie und zeigte sich mir gegenüber seitdem als relativ (im Vergleich zu anderen kirchlichen Einrichtungen) toleranter Arbeitgeber.

Ich konnte seitdem offiziell als nichtreligiöser Mensch meiner Arbeit in der Kinder- und Jugendhilfe nach gehen, ohne „scheinheilig“ sein zu müssen.

Das ist bemerkenswert, weil sich die Kirchen in Deutschland weitgehende Sonderrechte erarbeitet haben und, gesetzlich geregelt, weder das Betriebsverfassungsgesetz noch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz anwenden müssen.

Die unzureichende Trennung zwischen Kirche und Staat sehe ich darum weiterhin als großes, ungelöstes gesellschaftliches Problem: Die Diskriminierung besteht fort, weil die Kirchen nach wie vor ihre Richtlinien zu Loyalitätsfragen „innerkirchlich“ nach jeweiligem Ermessen gestalten können. Sie unterlaufen, mit Hilfe von Ausnahmen für Religionsgemeinschaften, ansonsten gültige rechtliche Standards der Gleichbehandlung.

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Bildquelle: Jaques Tilly

Einige Monate versuchte ich mich als nichtchristlicher Mitarbeiter mit der Diakonie zu arrangieren, die mich in die Klasse der Mitarbeitenden mit „anderen Aufgaben einteilt. Ich gehöre zu den Leuten die „ausnahmsweise“ Aufgaben übernehmen, bei denen geprüft wird ob sie „überhaupt notwendig wahrzunehmen sind“, muss dabei eine „deutlich bessere Eignung“ vorweisen und von mir wird erwartet, dass ich „der Erfüllung des kirchlichen Auftrags deutlich mehr dienen [werde] wird als eine konkurrierende Person mit evangelischem Bekenntnis“ usw. usf.
Noch dazu ist in der Richtlinie zu lesen: „Ein früherer Austritt aus einer christlichen Kirche lässt erwarten, dass eine Person nicht für den Dienst bei Kirche und Diakonie geeignet ist, da sie durch bewusste Abwendugn von der Kirche in besonderer Weise deren Missbilligung zum Ausdruck gebracht hat. …“
(Zitate aus der ARR Berufliche Mitarbeit der bayerischen Diakonie)

  • Im Januar 2018 reichte ich die Kündigung zum 31. Juli ein. Mit Hinweis auf die weiterhin diskriminierenden Regelungen im kirchlichen Arbeitsrecht, mit Anerkennung für den fairen Umgang der Führung des diakonischen Trägers im Konflikt mit mir und mit Dank für die kollegiale, fachlich hochwertige und nette Zusammenarbeit der letzten 21 Jahre.
    Das eröffnet mir jetzt die Möglichkeit, ohne gegen die Loyalitätserklärung zu verstoßen, meine Meinung offensiv und öffentlich zu vertreten.

Diskriminierung durch kirchliches Arbeitsrecht,
ist ungerecht und nicht länger hinzunehmen!

Stand: 1. November 2018