Im Bistum Eichstätt gehört seit 40 Jahren ein paläontologisches Museum zum Bischöflichen Priesterseminar: Das Jura-Museum auf der Willibaldsburg, in dem wertvolle Funde aus den Plattenkalken des Altmühltales ausgestellt sind.
2018 kündigte das Priesterseminar den Vertrag und stellte das Museum so existenziell in Frage.
Mein Text dazu reflektiert Fragen wie:
Wie hat sich das Verhältnis von Wissenschaft und Glauben entwickelt?
Welches Erbe würdigt die Kirche?
Kann ein katholischer Träger mit Belegen für die Evolution, wie dem Archäopteryx, angemessen umgehen?
Könnte Eichstätt auch ein Ort der Aufklärung und der Wissenschaft werden?
Veröffentlicht wurde der Artikel im Humanistischen Pressedienst.
Lästiges Erbe?
Das Jura-Museum Eichstätt und die Not des Bistums mit einer weltberühmten Sammlung
In der Romantik suchten Pfarrer gerne in Steinbrüchen nach Fossilien als Beweise für Gottes wundersame Schöpfung. Dabei trugen sie naturkundliche Sammlungen zusammen, die durch Schenkung oder Erbfall häufig in den Besitz der Kirche übergingen.
Ignaz Pickel (1736 – 1818) lebte in dieser Zeit, in der sich Religiosität und naturwissenschaftliches Denken noch konfliktfrei ergänzten. Damals wurde vermutet:„Wenn Gott Mensch werden konnte, kann er auch Stein, Pflanze, Tier und Element werden, und vielleicht gibt es auf diese Art eine fortwährende Erlösung in der Natur“.
Heute werden solche Schöpfungsbeweise von Wissenschaftlern in nüchterner Sprache im Rahmen der modernen Evolutionstheorie gedeutet. Vermutungen weichen dem rasant wachsenden wissenschaftlichen Wissen. Die rätselhafte Welt wird zunehmend entzaubert und die Einsicht, dass es in der Welt mit rechten Dingen zugeht (Naturalismus), breitet sich aus.
Daraus ergeben sich für religiöse Menschen mitunter Probleme: Der Schöpfer fällt „Ockhams Rasiermesser“, dem Sparsamkeitsprinzip, zum Opfer. Göttliche Fügung wird nicht mehr zur Welterklärung benötigt. Stattdessen arbeiten unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen eng zusammen und können uns einen detaillierten Einblick in die Erdgeschichte und sogar unsere eigene stammesgeschichtliche Entwicklung geben. Anstelle fantasiereicher Deutungen, die Wissenslücken mit mythologischen Vorstellungen auffüllten, beeindrucken uns heute die Erkenntnisse der Wissenschaft.
Das Eichstätter Priesterseminar besitzt eine der bedeutendsten paläontologischen Sammlungen Deutschlands, die im Jura-Museum auf der Willibaldsburg ausgestellt ist. Die Fossilien aus den Plattenkalken im Altmühltal sind faszinierende Forschungsgegenstände von internationalem Rang. Sie tragen aber auch zur allgemeinen Bildung bei. Familien mit Kindern, interessierte Laien, Vereine und Schulklassen können die wertvollen Funde aus dem Altmühltal, wie den Archäopteryx Lithographica oder den Juravenator Starki bestaunen und, im besten Fall, ein tieferes Verständnis für die Entwicklung des Lebens gewinnen.
Der Grundstock der Sammlung geht auf den eingangs erwähnten Ignaz Pickel zurück, einen Jesuiten, Mathematiker und Astronomen, der sich im Stile der Universalgelehrten seiner Zeit auch mit Archäologie und den Versteinerungen seiner Eichstätter Heimat beschäftigte. Seine Funde und sein Wissen hat er an das Bistum vererbt.
Im Moment ist das Jura-Museum geschlossen. Es ist zum Sanierungsfall geworden, weil wichtige Renovierungsarbeiten unterblieben. In einem aktuellen Zeitungsartikel beschreibt der Redakteur die Entwicklung der letzten Jahre und Jahrzehnte schlagwortartig so: „… hat in den vergangenen Jahrzehnten unübersehbar der Zahn der Zeit genagt“, „Die dringende Renovierung wollte das Bischöfliche Priesterseminar, …. nicht mehr finanzieren. Außerdem hatte dessen Führungsspitze 2018 angekündigt, vor allem wegen fehlender wirtschaftlicher Perspektiven, die Trägerschaft zum Ende des Jahres abzugeben“. „Jährliches Defizit von über 100 000 Euro“, „Zusammenarbeit des kirchlichen Trägers mit den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen (hat sich) offensichtlich überlebt.“ Die Aussichten sind düster.
Aktuell ist die Trägerschaft nur bis Ende März 2019 gesichert und es wird diskutiert, ob sie der Katholischen Universität (KU) Eichstätt angetragen werden soll. Das verbessert die Perspektive für das Museum keineswegs, denn viel mehr Schwung wird man auch hier nicht erwarten können. Die KU, deren Schwerpunkt auf Sozialer Arbeit, Theologie, Geographie und Sprachwissenschaften liegt, wehrt sich ganz offensichtlich gegen eine Übernahme, was angesichts der zu erwartenden Defizite nicht verwundert. Inhaltlich gibt es keine überzeugenden Anknüpfungspunkte oder Synergieeffekte, letztlich wäre das naturwissenschaftliche Museum ein Fremdkörper in dieser Institution.
Es geht aber auch anders, wie bei einem weiteren Erbstück des Bistums zu beobachten ist. Ebenso zum Bischöflichen Priesterseminar gehört die Schutzengelkirche, ein kunstgeschichtlich und architektonisch höchst bedeutsamer Kirchenbau aus dem Jahr 1617, der auf andere Weise beeindruckt: Durch die opulente Ausstattung mit Gemälden, Fresken, Kirchengestühl, einer wertvollen Orgel, geschnitzten Altarschranken und über 500 Schutzengelplastiken, bietet sie ein Gesamterlebnis, für das warm geworben wird: „Die wundervolle Schutzengelkirche besticht durch ihre Geschlossenheit in Ausstattung und Engelsthematik. Sie ist ein barockes Gesamtkunstwerk, in dem alle Künste harmonisch zusammenwirken.“
Ist auch sie ein Sanierungsfall? Natürlich nicht. In den letzten 20 Jahren wurde die Kirche außen und innen komplett saniert. „Man hat sich dabei für die Fassung aus dem Jahre 1717 entschieden, das war die Zeit in der die prachtvolle Innenausstattung mit Stuck, Fresken und wertvollen Altären entstand.“ berichtet das Bistum 2009 in selbstbewusstem Ton. Geldmangel ist und war dabei kein Problem, denn neben den staatlichen 2,3 Millionen Euro (nur für die Innenrenovierung), die als „Zuschüsse“ bezeichnet werden, wurde als weitere Einnahmequelle zu Spenden aufgerufen. Mit „567 Engel brauchen Hilfe“ – einer Spendenaktion, die Privatleuten die Taschen öffnete, finanzierte sich das Bistum zum größten Teil den verbliebenen Eigenanteil, der bei rund 1 Million Euro lag.
2012 konnte man sich dann gemeinsam mit der Marianischen Männer Congregation (MMC), die auch zum Bischöflichen Seminar gehört, über eine Neuanschaffung für diese Kirche freuen, denn „Mit der 780 Kilogramm schweren Glocke, die den Ton a1 erklingen lässt, schließt sich eine Lücke in der Harmonie des Gesamtgeläutes von acht Glocken.“
Ganz offensichtlich geht das Bischöfliche Priesterseminar Eichstätt mit seinen verschiedenen Erbteilen sehr unterschiedlich um: Während das Jura-Museum verfällt und existenziell bedroht ist, geht es bei der Schutzengelkirche um die Abrundung der Harmonie im Glockengeläut. Und das ist nur einer von vielen Kirchenbauten, bei denen stets große Summen für den Erhalt eingeworben und aufgewendet werden.
Man mag es dem Bistum als legitim zugestehen, sich um die Kirchen besser zu kümmern als um die naturkundliche Sammlung des Ignaz Pickel. Die große Diskrepanz erschreckt dennoch, schließlich werden in beiden Bereichen öffentliche Gelder dafür verwendet, dass die Kirche ihren Besitz als Kulturgut erhält und der Bevölkerung zugänglich macht. Arbeitet das Domschatz- und Diözesanmuseum, das ebenfalls dem Bistum gehört, im Vergleich wirtschaftlicher? Werden bei den kunsthistorischen Führungen in den Eichstätter Kirchen ähnlich streng die Besucherzahlen in Relation zu den Kosten gerechnet? Das würde verwundern, weil Glocken und Sakralschmuck zur Kernidentität der Kirche gehören und damit jeden Aufwand rechtfertigen, Fossilien jedoch nicht.
Was wäre aus all dem zu folgern?
- Dem Bistum Eichstätt ist zu empfehlen, entweder das ideelle Erbe des wissenschaftlich denkenden Jesuiten Ignaz Pickel verantwortlich anzunehmen und sich entschieden für die Sammlung zu engagieren, oder sie in andere interessierte Hände abzugeben. Ein kraftlos betreutes, finanziell geknebeltes und altbackenes Jura-Museum vermittelt keine positiven Erlebnisse und hat so keine Zukunft. Ähnlich wie sich das Bistum über die im Jahr 1802 gelungene „Rettung der Kirche vor dem im Zuge der Säkularisation drohenden Abbruch“ freut, freuen sich wissenschafts-affine Bürgerinnen und Bürger sowie säkulare Organisationen, die einige von ihnen vertreten, wenn eine Rettung des Jura-Museums vor Verfall und Bedeutungsverlust gelingt.
- Ein Poker um höhere Fördergelder, bei dem die Trägerschaft nur innerhalb des Bistums verschoben wird und Misswirtschaft indirekt durch anschließend erhöhte Zuwendungen belohnt wird, ist zu verhindern. Sicherlich ist es, wie bei allen Bildungseinrichtungen, schwierig das Museum finanziell solide zu betreiben. Allerdings sollten alte Strukturen, die zu Defiziten führten, nicht unhinterfragt beibehalten werden, indem nur die offizielle Zuständigkeit wechselt.
- Die Politik sollte prüfen, ob das Bistum Eichstätt die Förderungen für das Jura-Museum effektiv einsetzt, naturwissenschaftliche Bildung voran treibt und bereit ist, der Sammlung neuen Glanz zu verleihen. Nachhaltiges Engagement, Effektivität und Eigeninitiative zeigte das Bistum Eichstätt bisher nur für seinen religiösen Erbteil. Aus den bisherigen Erfahrungen ist für 2019 zu befürchten, dass die im März anlaufende Sanierung des Domes höchste Priorität hat und das Jura-Museum abgewickelt oder zumindest wieder hintangestellt wird.
- Ein Qualitätssprung im Jura-Museum ist kaum zu erreichen, wenn, möglicherweise aus katholisch geprägter Weltanschauung, auf die Chance verzichtet wird, Evolution ansprechend und in ihrer fundamentalen Bedeutung für das menschliche Leben darzustellen. Wissenschaftlich ausgerichtete oder humanistisch orientierte Organisationen betrachten diese Thematik als Teil ihrer Kernidentität und würden dementsprechend kenntnisreich und motiviert zu Werke gehen. Das Subsidiaritätsprinzip legt an dieser Stelle eine Beteiligung wissenschaftlicher Institutionen und/oder evolutionärer Humanisten nahe.
- Unabhängig davon, wer die Trägerschaft zukünftig übernimmt: Die Sammlung verdient ihrem Wert entsprechend zeitgemäß präsentiert zu werden. Begleitend zur Ausstellung wird ein modernes Bildungskonzept benötigt, das Wissenschaft und Aufklärung in den Fokus stellt, Forschung ermöglicht und Kindern und Erwachsenen einfach auch Spaß macht. Dazu gibt es kompetente Fachleute und gute Konzepte aus der Museumspädagogik, Biologiedidaktik und der Ausstellungstechnik. Hier zu investieren und die Zusammenarbeit mit versierten Organisationen und Häusern gezielt zu nutzen, kann das Museum erfolgreich machen.
Schon um die bisherigen Investitionen des Staates für die nächsten Generationen zu erhalten, muss die Krise bewältigt werden. Man könnte mit bestehenden Konzepten und bekannten Lösungsmethoden die alte Stabilität wieder herstellen. Oder man betrachtet das Potential und die Ressourcen des Jura-Museums in seiner Umwelt mit frischem Blick, wendet neues Wissen und Erfahrung aus anderen Bereichen an, rekombiniert die zur Verfügung stehenden Elemente und ermöglicht so den evolutionären Sprung auf eine neue Ebene.
Der Archäopteryx steht für diesen Sprung – hoffentlich sein Museum auch.
Hansjörg Albrecht
30.01.2019